Die Corona-Pandemie stellte viele Unternehmen vor neue Herausforderungen. Veränderungen wurden angestoßen, bestehende Transformationsprozesse beschleunigt.
In unserer Mixed-Media-Interviewreihe “Pioniere des Wandels” führen wir in unregelmäßigen Abständen Gespräche mit Vordenker:innen aus der Wirtschaft, die sich besonders für den Wandel innerhalb ihres Unternehmens einsetzen.
Heute im Interview: Simone Wamsteker, Chief Human Resources Officer bei Detecon im Gespräch mit Katja Nettesheim, Gründerin von Culcha.
Gemeinsam schauen sie auf die Rolle & Herausforderungen von Transformatoren durch Covid.
Wie entwickelt sich die Rolle in Unternehmen weiter?
Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen jetzt und welche Maßnahmen braucht es für eine erfolgreiche Transformation?
Katja Nettesheim: Das Jahr 2020 hat spätestens gezeigt, wie zentral HR für das Funktionieren von Unternehmen ist. Wie sehen Sie das?
Simone Wamsteker: Ich sehe da auch eine deutliche Veränderung. 2020 war wie ein Katalysator, der die HR-Funktion unmissverständlich in den Mittelpunkt gerückt und ihre Bedeutung hervorgehoben hat. Aber diese Position hatte sie auch früher schon bei Unternehmen, zumindest solchen, die darin einen strategischen Vorteil sehen – vor allem im Consulting-Bereich.
Da war es schon immer ein zentrales Anliegen, dass die People-Strategie unmittelbar von der Business-Strategie abgeleitet wird. Aber wie viele Bereiche wirklich von HR berührt werden, das hat durch die Ereignisse der letzten Jahre nochmal an Bedeutung gewonnen.
Katja Nettesheim: Gleichzeitig habe ich aber manchmal den Eindruck, dass diese Bedeutung – außerhalb des puren Troubleshootings – nicht gern wahrgenommen wird. Konkret fällt mir auf, dass oft der Gestaltungswille nicht stark ausgeprägt ist, und das, obwohl HR für die Transformation und Zukunftsfähigkeit von Unternehmen so wichtig ist. Teilen Sie diesen Eindruck?
Simone Wamsteker: Das sehe ich auch so, und dafür gibt es verschiedene Erklärungsansätze bzw. Ursachen: In der Vergangenheit war Troubleshooting immer vorrangig, und HR wurde vor allem als Admin-Funktion wahrgenommen, als Backbone.
Der strategische Blickwinkel von HR ist in vielen Unternehmen nicht erkannt worden. Dementsprechend hat sich auch HR darauf eingeschwenkt, nur zu troubleshooten und Admin-Fähigkeiten zu perfektionieren, damit man ganz schnell auf die Anforderungen des Businesses reagieren kann.
Mit der Einstellung kommen wir aber in Zukunft nicht weiter! Wir müssen uns wandeln: Vom Reagieren zum Agieren, wir müssen zum Business einen Wertbeitrag leisten, müssen Vorreiter sein! Ich lese gerade das großartige Buch „Think Again“ von Adam Grant – das hat mich am Wochenende nochmal dazu angeregt, darüber nachzudenken, was wirklich wichtig ist. Was ist der Nordstern, an dem ich meine HR-Abteilung ausrichten will? Diese Frage beschäftigt mich.
Katja Nettesheim: Und in welche Richtung gehen da Ihre Gedanken?
Simone Wamsteker: Der Beginn der Digitalisierung war für mich ein Wake-up Call: Unfassbar, was für wahnsinnige Chancen sich hier ergeben! Damals war ich bei Accenture und wir haben zusammen mit den Chefs über „lot size 1“, also die Möglichkeit, auch individuelle Arbeitsverrichtungen zu automatisieren, diskutiert.
Ich hatte sofort die Abkehr von den standardisierten Projekten und Prozessen in der HR vor Augen, verbunden mit der Möglichkeit, dass wir nun endlich individuell auf „moments that matter“ eingehen können. Und zwar mit einer guten Tool-Ausstattung, die dafür die Kapazitäten schafft. Und diese gute Tool-Landschaft kann dann wieder durch Daten gespeist und clever analysieren, wer gefährdet ist, abzuwandern, wer ist ein High Flyer ist, etc. Dieser Reichtum an Analysemöglichkeiten und die Möglichkeit, auf Basis von Daten individuelle Karrierepfade zu gestalten, das war für mich die Initialzündung.
Katja Nettesheim: Diese Anekdote zeigt ja auch, dass Sie schon zu Beginn Ihrer Karriere in der Lage waren, HR am Tisch der Entscheider zu positionieren. Was braucht es dafür?
Simone Wamsteker: Wenn du da mitspielen willst, dort wahrgenommen & wertgeschätzt werden willst, musst du deine HR-Abteilung genauso steuern wie alle anderen Bereiche gesteuert werden: mit Blick fürs Business. Was ist mein Auftrag? Was ist mein Beitrag, jenseits des klassischen Employee Life Cycle?
In einer Beratung ist man da in einer privilegierten Rolle, denn als „People Business“ ist man schon eher Teil des Core Business. Aber in Unternehmen, wo HR als „Corporate Function“ wahrgenommen wird, wird es schon schwieriger. Dort herrscht zumeist die Meinung vor, „HR wird’s schon richten“ und man wird dementsprechend erst hinzugezogen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Da heißt es dann schnell: „Könnt Ihr noch ein bisschen was zur Kultur machen, denn da sieht‘s nicht so gut aus.“
Ich habe mich der Herausforderung gestellt, HR wie eine Business Unit zu betreiben. Und da bin ich anscheinend schon ein Stück vorangekommen, denn wir haben jetzt eine wichtige Bedeutung. Wenn wir beispielsweise über M&A sprechen, über Regionen und unsere Projekte, dann ist HR immer gleich dabei. Wir geben dann Knowledge rein zu so wichtigen Themen wie der Verfassung des Kandidatenmarkts und der Mitarbeitenden, eventuellen Skill Gaps und deren Identifizierung, Prognosen zur Marktentwicklung auf der People-Seite, etc. Wir werden jetzt wahrgenommen als eine Instanz, die der Business-Strategie etwas Wichtiges hinzufügen kann.
Aber nochmal: Voraussetzung dafür ist, dass die HR-Abteilung funktioniert wie eine Business Unit – mit einer klaren strategischen Ausrichtung, geführt anhand von KPIs und mit einer vergleichbaren Effizienz.
Katja Nettesheim: Wie sieht das dann konkret aus?
Simone Wamsteker: Man muss einen Überblick über die großen Themen haben, um ganz klar die Erwartungshaltung des Business und dessen strategische Ziele zu verstehen. Ein Beispiel: Wenn die Digitalisierung und die damit verbundene Transformation bei der Detecon das oberste strategische Ziel ist, dann muss das auch in der HR passieren. Das heißt, das Brot & Butter-Geschäft muss Platz machen für Tätigkeiten, die diesem Ziel dienen.
Teilweise passiert das durch die mit der Digitalisierung verbundene Effizienzsteigerung von selbst, aber wir bauen auch die entsprechenden Leute und/oder Fähigkeiten auf. Wir sparen ein an Stellen, wo man keinen Blumentopf gewinnt, und investieren dort, wo ein Beitrag zur strategischen Weiterentwicklung geleistet werden kann. Ich frage meine Teams oft: „Für was wollt Ihr eigentlich angesehen werden?“
Katja Nettesheim: Jetzt sagten Sie vorhin, sie wollen HR mit dem gleichen KPI-Bezug führen wie operative Einheiten. Heißt das auch, mit dem gleichen KPIs? Umsatzbezug ist ja nicht so leicht in der HR ….
Simone Wamsteker: Auch hier muss man wieder unterscheiden. In der Consulting-Welt ist diese Verbindung ziemlich direkt gegeben, da Sie als HR ja die Menschen mit den Skills, die gerade vom Markt verlangt werden, rekrutieren und damit die Lieferfähigkeit sicherstellen. Und auch die Zuordnung der Menschen auf die richtigen Projekte, also das Staffing, findet innerhalb der HR statt und hat direkten Umsatzbezug.
Aber auch außerhalb des Consultings gibt es Möglichkeiten, HR näher an den Umsatz zu rücken: Warum sollten nicht unsere HR-Mitarbeiter mit zum Kunden gehen, wenn da eine Lösung verkauft wird, und Wert beitragen in Bezug auf den damit einhergehenden Change?! Somit würde HR sogar direkt umsatzrelevant.
Katja Nettesheim: Was haben Sie sich von anderen Teilen der Organisation „geholt“, damit Sie dieses Verständnis von HR umsetzen konnten?
Simone Wamsteker: Ein wichtiger Schritt, aber das war schon vor meiner Zeit, war, dass HR ein Teil des Boards geworden ist. Ich bin eine von drei Board Mitgliedern, und wir verantworten gemeinsam alle Themen – also bin ich da auch immer wesentlicher Teil der Entscheidungsfindung.
Um die Situation der HR-Kolleg:innen zu verbessern, müssen wir die neue Rolle der HR wirklich oben verankern und dann auch keine Angst haben, mitzureden. Denn wenn man mit am Business-Tisch sitzt, dann wird auch erwartet, dass wir ein Blick auf das Business haben: Womit machen wir als Unternehmen den meisten Umsatz? In welchen Märkten? Dann darf ich mich nicht auf die reinen People Topics zurückziehen, sondern muss bei allen Themen den People- und den Business-Blick darauf haben.
Ferner hilft mir hier auch eine sehr enge Abstimmung mit alle Corporate Functions – und sei es nur Controlling oder Marketing. Auch hier agiere ich wie eine Business Unit. Da frage ich mich beispielsweise, ob das Produkt-Marketing und Employer Branding den gleichen Wegen folgen. Und das Thema HR Analytics ist sehr eng verzahnt mit Finance – auch hier agieren wir mit unseren Reporting-Anforderungen ähnlich wie eine operative Einheit.
Auf Konzernsicht – wir sind ja ein Teil des Konzerns Deutsche Telekom – kommt noch eine Komponente dazu: Wie können wir von den Synergien im Konzern profitieren? Muss ich z.B. die Payroll für die Detecon selbst machen? Hier gilt es also gut auszubalancieren, was wir speziell brauchen – und was die Telekom / T-Systems viel schneller und besser kann.
Und dann noch ein Punkt, der sehr leicht und ohne fremde Mitwirkung umzusetzen ist: Selbstverständliche Tätigkeiten sollten nicht gelobt werden. Denn wenn ich dafür gelobt werde, habe ich viele andere, vielleicht herausfordernde Sachen nicht richtig gemacht und fokussiere mich in Zukunft (noch) mehr auf die selbstverständlichen Tätigkeiten.
Katja Nettesheim: Haben Sie zum Abschluss noch einen Trick oder Leitsatz für eine moderne HR auf Augenhöhe?
Simone Wamsteker: Ich denke, man darf nie vergessen, dass die HR-Stakeholder, die Bezieher von HR-Leistungen, auch Menschen und Konsumenten sind. Vor dem Hintergrund haben wir beispielsweise bei Accenture den Vertragskonfigurator entworfen, ein Schieberegler für individuelle Urlaubstage, Arbeitszeiten, etc. Die ganze Idee kam daher, dass, seinen Arbeitsvertrag zu gestalten genauso einfach sein sollte wie ein Auto zu konfigurieren.
Was ich auch oft mache: Ich frage mich, was ärgert mich persönlich ganz besonders? Zum Beispiel lange Formulare. Übertragen auf das Recruiting-Thema heißt das: Ich kann keine:m Kandidat:in zumuten, durch ein dreiseitiges Online-Formular zu gehen bei der Einstellung. Also: Ich versuche Distanz zu gewinnen, wegzugehen aus meiner HR-Blase und mir das so anzuschauen, als ob es mich privat beträfe.
Katja Nettesheim: Oder so, wie das ein gut geführtes, modernes und kundenzentriertes Business täte. Vielen Dank, liebe Frau Wamsteker, für dieses sensationell gehaltvolle Interview!
Dieses Interview ist die zehnte Ausgabe unserer Interviewreihe “Pioniere des Wandels”. Lesen Sie weitere Interviews mit Marko Hein, Group Director Digital & CDO bei Ravensburger, Dr. Markus Keddi, Senior Vice President Corporate HR bei der Voith Group und Enrico A. Palumbo, Head HR Learning and HR Early Talent Development bei SAP.